Rede von Ingrid Wüllscheidt („Restitution eines Werkes aus der Städt. Kunstsammlung hier „Bacchanale“ von Lovis Corinth)

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, meine Damen und Herren,

man kann nur hoffen, dass mit der heutigen Beratung und Beschlussfassung zu der Rückgabe des Corinth-Gemäldes an die Salomon-Erben eine lange und zum Teil unangemessen geführte Feilscherei zu Ende gehen kann.

Zugegeben: auch wir Grünen haben uns mit der Positionsfindung in der Frage der Restitution der „Bacchanale“ zunächst schwer getan.
Beim Rückblick wird deutlich warum!

Die Stadt Gelsenkirchen kauft 1957 bei einer Kölner Galerie ein Gemälde für 14.500 DM. Das Kunstwerk wird fester Bestandteil der städtischen Kunstsammlung und laut Verwaltung „auch ein wichtiger Teil der kunstpädagogischen Arbeit des Museums“.
Das ist prima und daran haben sich viele Gelsenkirchener Bürgerinnen und Bürger weit über 50 Jahre erfreuen können.

Dann aber stellt sich 2013 plötzlich heraus, dass das gute Stück unter die Überschrift „Raubkunst“ fällt.
Bis zum März 1938 war es nachweislich Eigentum der Familie Salomon in Berlin. Durch die unter Naziherrschaft durchgeführte Zwangsversteigerung ihres gesamten Besitzes verlieren die Salomons auch das Gemälde „Bacchanale“. Sie fliehen in die Niederlande, werden aber auch dort von den Nazis verfolgt und in Konzentrationslager verschleppt. Einzig Frau Salomon überlebt das Grauen; ihr Mann und die beiden Kinder finden den Tod.
Später regelt Frau Salomon ihr Erbe neu und erstellt ein Testament; sie selbst verstirbt 1971.

Zehn Jahre zuvor wurde sie nach Bundesentschädigungsgesetz für den bei der Zwangsversteigerung entstandenen „Verschleuderungsverlust“ und für andere Kosten entschädigt. Auf weitere Ansprüche hat sie damals verzichtet.
Und dennoch treten jetzt auf einmal die Erben an die Stadt Gelsenkirchen heran und wollen das Gemälde unverzüglich zurück haben. Sie berufen sich auf einen Restitutionsanspruch auf der Basis der sog. „Washingtoner Erklärung“.

Die Verwaltung holt sich im Oktober 2014 beim zuständigen Fachausschuss das Mandat, gemeinsam mit den Erben nach einer „gerechten und fairen Lösung“ für die Rückgabe zu suchen.
Dieses Ansinnen unterstützt der Ausschuss für Kultur einstimmig.

Doch nun zeigt sich, dass die Erben keinerlei Interesse daran haben, sich den Kopf der Stadt Gelsenkirchen zu zerbrechen.

In Verwaltung und Politik werden ja (auch von uns) folgende Fragen diskutiert:

  • wurde Frau Salomon 1962 nicht sogar abschließend entschädigt, sodass womöglich gar kein Restitutionsanspruch besteht?
  • könnte die Stadt nicht einen Anteil am möglichen Verkaufserlös des Gemäldes erhalten (Ausgleich für den Vermögensabgang im städtischen Haushalt)?
  • wie kann sichergestellt werden, dass das Gemälde auch weiterhin kostenfrei für die Präsentation in öffentlichen Museen zur Verfügung steht und nicht in einer Privatsammlung „verschwindet“?

Wichtige Fragen auf der einen Seite – aber die Erben –auf der anderen Seite- wollen darüber gar nicht verhandeln; sie bieten der Stadt bei Rückgabe des Gemäldes lediglich einen Betrag von 65.000 € an; auf alles andere lassen sie sich nicht ein.

Und deshalb war es richtig, es an dieser Stelle den Erben gleich zu tun und die Limbach-Kommission anzurufen.

Gut, dass es diese Institution gibt und gut, dass sie auch im Fall des Corinth-Gemäldes einiges klar gerückt und eindeutige Empfehlungen ausgesprochen hat:

  • die Familie Salomon war seit 1933 rassistischer Verfolgung ausgesetzt; der Großteil der Familie kam dabei ums Leben
  • bei der Veräußerung des Corinth-Gemäldes im Jahre 1936 hat es sich um einen verfolgungsbedingten Zwangsverkauf gehandelt bei dem kein angemessener Preis bezahlt wurde
  • es gibt weder einen Nachweis noch Anhaltspunkte dafür, dass die Erben des ehemaligen Besitzers Alfred Salomon 1962 angemessen entschädigt wurden
  • die Restituierung an die Erben wird deshalb empfohlen
  • einen Wertausgleich für den Ankauf und die Pflege des Bildes in Höhe von 65.000 €, den die Erben auch schon früher angeboten hatten, wird ebenfalls empfohlen
  • eine Beteiligung der Stadt an der Wertsteigerung des Gemäldes scheint der Kommission nicht gerechtfertigt; für eine solche Auflage sieht die Kommission weder rechtliche noch moralische Gründe
  • eine Kostenteilung bei der Erstellung einer hochwertigen Replik für das Kunstmuseum wird dagegen ausdrücklich befürwortet

Bei dieser ganzen Auseinandersetzung geht bzw. ging es also wesentlich darum, rechtliche und moralische Gründe für eine Reaktion auf das Ansinnen der Erben ins Feld zu führen.
Die rechtlichen Verpflichtungen waren aus der „Washingtoner Erklärung“ schnell abzuleiten; im Grundsatz wird hier die Rückübereignung vorgesehen.

Mit den moralischen Ansprüchen gegenüber den Erben war das nicht so einfach; hier lag die Stadt, lagen zunächst auch wir, mehrfach daneben.
Heute kritisieren wir vermeintliche Vorwürfe gegenüber den Erben, wie sie dem folgendem Zitat aus der Begründung des heutigen Beschlussvorschlages zu entnehmen sind: „dass die Erben das Gemälde ausschließlich als Wirtschaftsgut betrachten, völlig losgelöst von einer kunsthistorischen Bedeutung oder erklärtermaßen losgelöst von einem jüdischen Kontext. Und dieses Wirtschaftsgut sollte höchstmöglich versteigert werden.“
Dazu meinen wir:
Ja, und?
1. Ist es nicht das gute Recht der Erben mit ihrem Eigentum zu tun und zu lassen, was sie wollen

  • sie können es verkaufen
  • sie können es in einen Stahlschrank legen
  • was immer sie mit dem Gemälde vorhaben; sie haben ihr Tun nicht zu rechtfertigen

Ich bitte zu bedenken:
Das Bild hat nur deshalb 50 Jahre im Gelsenkirchener Museum gehangen, weil es vor 70 Jahren zwangsversteigert wurde. Wäre das Gemälde immer im Besitz der Salomons verblieben, käme wohl niemand hier auf die Idee sich bei dem Umgang der Salomons mit ihrem Gemälde einzumischen.

2. Ist es nicht das gute Recht der Erben, keine Bereitschaft zu zeigen, über die weitere Verfügbarkeit dieses Kulturerbe für die Öffentlichkeit) zu verhandeln – aus welchem Grund sollten sie dazu verpflichtet sein?
3. die Erben sind weiterhin nicht verpflichtet, ein Gesprächsangebot aus der jüdischen Gemeinde anzunehmen – warum sollten sie ihr Erbe nicht völlig losgelöst von einem jüdischen Kontext betrachten? sie wollen nur ihr Erbe zurück; nicht mehr und nicht weniger!
4. Wenn die Erben überhaupt irgendjemand gegenüber verpflichtet sein sollten, dann sicher nur gegenüber dem letzten Willen ihrer Erblasserin; aber das geht wiederum uns überhaupt nichts an.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
 stimmt der Beschlussvorlage zur Restitution des Kunstwerkes „Bacchanale“ zu
und
 begrüßt die Empfehlung des Ausschusses für Kultur ausdrücklich, den vereinbarten Wertausgleich in Höhe von 65.000 € für die Neuanschaffung von Kunstwerken für das Museum zu verwenden.