8. Mai 2020: Unser Beitrag zur Gedenkkundgebung am Tag der Befreiung

Als Mitgliedsorganisation beim „Gelsenkirchener Aktionsbündnis gegen Rassismus und Ausgrenzung“ haben die Grünen Gelsenkirchen an der gemeinsamen Gedenkkundgebung zum 8. Mai im Stadtgarten mit über 50 Demonstrierenden teilgenommen.

Mit der Kundgebung erinnert das Bündnis an die 75. Wiederkehr des 8. Mai 1945, an dem in Europa die Naziherrschaft und mit ihr der Zweite Weltkrieg endeten. Beide hinterließen auch in Gelsenkirchen unermessliches Leid, Tausende von Todesopfern und riesige Zerstörungen.

Bündnissprecher Paul Erzkamp sieht darin einen klaren Auftrag für heute: „Auch ein dreiviertel Jahrhundert nach der Befreiung ist die 1945 von den überlebenden Verfolgten aufgestellte Forderung „Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg“ noch immer nicht eingelöst. Die uns heute selbstverständlich gewordenen Freiheiten werden auch in Deutschland wieder von rechtspopulistischen, rassistischen und faschistischen Parteien und Bewegungen bedroht.“ Diese Kräfte nutzten die alltäglichen Sorgen und die oft verständliche Unzufriedenheit vieler Menschen mit der aktuellen Politik, um unter dem Deckmantel einer scheinbar „alternativen“ Politik erneut die reaktionären Inhalte von „damals“ zu predigen.

Unsere Kreisvorsitzende und Spitzenkandidatin zur Kommunalwahl, Adrianna Gorczyk, hat bei der Kundgebung folgenden Redebeitrag gehalten:

Liebe Gelsenkirchener*innen,

am 30.04. hätte zum sechsten Mal in Folge das Gelsenkirchener Bündnis „Laut gegen Rechts“ das gleichnamige Konzert in der Gelsenkirchener Innenstadt ausgerichtet. Der Protest gegen Rassismus, Faschismus und Ausgrenzung musste in den digitalen Raum verlegt werden, zahlreiche Menschen haben sich daran mit einem großen Engagement, viel Kreativität und vor allem mit deutlichen Worten beteiligt.

Auch heute stehen wir, in einem weiteren, starken Bündnis, zusammen. Es besteht kein Zweifel daran: Das Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus und das Eintreten gegen Faschismus sind nicht auch, sondern gerade während der Corona-Pandemie unerlässlich.

Mein Name ist Adrianna Gorczyk, ich bin Kreisvorsitzende bei den Gelsenkirchener Grünen und möchte etwas zu den aktuellen Entwicklungen in der rechtsextremen Szene sagen.

Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie sind die Themen Flucht und Migration in den Hintergrund geraten. Damit ist aber auch das Hauptthema der rechtsextremen Szene, nämlich die rassistische Hetze gegen Geflüchtete, unbedeutender in der öffentlichen Diskussion geworden und die Anhänger wussten nicht auf die Krise zu reagieren.

Doch schnell wurden Gruppierungen um die rechtsextreme Prepperszene aktiv, die den sogenannten Tag X witterten. Damit ist der Tag gemeint, an dem der bürgerlich-demokratische Staat zusammenbrechen würde und die eigene rechtsextreme Anhängerschaft die Macht, unter Einsatz von Waffengewalt, übernehmen will. Auch Geheimdienste warnten davor, dass rechte Strukturen ihre Waffenlagern leeren und sich bewaffnen würden, Durchsuchungen offenbarten Waffen in Massen. Zum Problem gehört auch, dass in diesen Netzwerken, die von einem Umsturz träumen, sich auch Mitglieder der Bundeswehr, Polizei und der Geheimdienste selbst befinden, wie u.a. das Beispiel „Nordkreuz“ gezeigt hat.

Schon vor Corona haben sich in NRW Strukturen formiert, die Bürgerwehren aufstellen wollten und das zum Teil auch getan haben. Hier sind z.B. die sogenannten „Steeler Jungs“ aus Essen-Steele zu erwähnen, einer Mischszene aus Rassisten, Wutbürgern, Hooligans, Kampfsportlern und Rockern.

Nahezu unbemerkt konnten während Corona Mitglieder dieser Struktur in dem Fitness-Club „Stahlwerk“ in Gelsenkirchen-Ückendorf einen Kampfsportclub gründen und trainierten dort trotz Öffnungsverbot und Kontaktbeschränkungen.

In der rechten Szene erleben wir also eine Professionalisierung von Gewalt. Zusammen mit dem Partnerbündis „Essen stellt sich quer“ haben wir auf diese Entwicklung öffentlich hingewiesen und fordern Stadtverwaltung und Polizei explizit dazu auf, hier tätig zu werden. Alles, was sich an gewaltsamen rechten Strukturen jetzt weiter aufbauen kann, weil übersehen, herunterspielt oder ignoriert wird, haben diese Instanzen mit zu verantworten.

Je länger die Corona-Pandemie andauert, desto lauter werden auch die Stimmen gegen die Einschränkungen, darunter auch Demonstrationen, die als „Hygiene-Demos“ bekannt geworden sind. Diese finden z.B. in Stuttgart und in Berlin statt und haben zuletzt immer mehr Zulauf bekommen. An vielen Stellen ist zu beobachten, dass es hier keine Abgrenzung nach rechts gibt: unter den sogenannten „Lockdown-Gegnern“ finden sich besorgte Bürger, Verschwörungstheoretiker, Impfgegner, Esoteriker und viele mehr. Sie stehen Seite an Seite mit Faschisten und Reichsbürgern. Dass diese lediglich geduldet würden, kann nicht glaubhaft vermittelt werden, wenn man, wie es z.B. die TAZ getan hat, näher betrachtet, wer an der Organisation dieser Demonstrationen beteiligt ist.

Was hier passiert ist, dass die berechtigten Sorgen um Freiheits- und Grundrechte von rechts vereinnahmt und mit rassischen, antisemitischen und antidemokratischen Haltungen entwertet werden.

Und das passiert auch hier in Gelsenkirchen, wo es neuerdings einen Autokorso von Lockdown-Gegnern gibt, der von der rassistischen Gruppe „Stellt euch quer NRW“ unterstützt wird. Diese hat Anfang des Jahres einen erfolglosen Bürgerwehr-‚Spaziergang‘ versucht und ruft nun dazu auf, den für jeden Sonntag geplanten Autokorso zu flankieren und den Beteiligten zuzujubeln.

Die Absurdität hinter dieser Demo mit dem Motto „Unser Grundgesetz ist kein Toilettenpapier“, die nur deshalb stattfinden kann, eben weil das Grundgesetz diese Rechte schützt, ist nicht zu übertreffen. Und trotzdem fühlen sich viele Menschen davon angesprochen und abgeholt. Dass auch die WAZ zunächst vollkommen unreflektiert über diesen Autokorso berichtet hat, spricht für sich selbst.

Umso wichtiger ist es, dass wir Gegenproteste organisieren. An dieser Stelle möchte ich auf unsere Gegenkundgebung gegen einen weiteren Autokorso durch Gelsenkirchen am kommenden Sonntag um 15 Uhr am Grilloplatz hinweisen.

Bitte unterstützt uns dabei und setzt euch mit uns gemeinsam für eine offene demokratische Gesellschaft ein.