Die Rede ist über den offiziellen Livestream der Stadt hier ab ca. 02:43:54 verfügbar.
Es gilt das gesprochene Wort.
Frau Oberbürgermeisterin, meine Damen und Herren,
Wir Grüne fordern, die „Opt-Out-Option Bezahlkarte für Geflüchtete in Anspruch nehmen“ – das heißt: keine Bezahlkarte für Gelsenkirchen!
Diese Position haben wir in zwei Sitzungen in dem zuständigen Fachausschuss, dem Sozialausschuss, mit zahlreichen Argumenten ausführlich begründet.
Das entsprechende Landesgesetz ist in Kraft getreten und besagt, dass jede Kommune entscheiden kann, ob sie die Karte einführen will oder nicht.
Das vielfach und gerne auch von der CDU vorgebrachte Argument „wir wollen aber keinen Flickenteppich“ hat sich somit schon erledigt.
Jetzt zählt also die Entscheidung der Kommune, jetzt zählt der Rat der Stadt und jetzt zählen Sie alle.
Jetzt muss der eigene Kopf benutzt werden – müssen Argumente abgewogen werden – muss Position bezogen werden.
Zweimal hat der zuständige Sozialausschuss die Abstimmung geschoben; heute heißt es: Bezahlkarte für Gelsenkirchen: ja oder nein?
Wir Grüne lehnen die Einführung der Karte ab
weil durch sie das Alltagsleben für die betroffenen Menschen erheblich erschwert wird und sie diskriminierend wirkt
und
weil sie für die Verwaltung Mehraufwand statt Erleichterung bedeutet.
Mit dieser Meinung sind wir nicht allein: zahlreiche Städte in NRW haben bereits der Einführung in ihrer Kommune per Ratsbeschluss widersprochen. Ich nenne hier beispielhaft: Aachen, Bochum, Dortmund, Duisburg, Düsseldorf, Köln, Kleve, Oberhausen, Paderborn und Selm. Weitere werden in der letzten Zeit dazugekommen sein.
Sie müssen gleich entscheiden, ob Sie sich dieser Position ebenfalls anschließen wollen.
Im Sozialausschuss haben die Vertreterinnen von CDU, FDP und natürlich vor allem der AfD Argumente, nein eher Phantasiereisen vorgestellt, die sachlich nicht zu begründen waren. Erschüttert hat mich dabei am meisten, welche Misstrauenshaltung gegenüber geflüchteten Menschen dabei zum Ausdruck gekommen ist.
So behauptete Herr Preuß jr. von der AFD, die Bezahlkarte könne Flüchtlinge davon abhalten, nach Gelsenkirchen zu kommen und sie würde sicher auch Geflüchtete motivieren, die Stadt wieder zu verlassen und ggfs. sogar in ihre Heimat zurückzukehren. Auch die CDU sprach davon, dass Gelsenkirchen eine „bevorzugte Adresse“ sei. Neben dieser Ignoranz gegenüber Notlagen, die Menschen dazu bringen, eine Flucht aus der Heimat anzutreten, zeugt diese Position von erschreckender fachlicher Ahnungslosigkeit.
Asylsuchende Menschen suchen sich ihre Stadt nicht aus. Sie werden den Kommunen zugewiesen und können diese auch nicht nach Gutdünken wieder verlassen; für sie gilt eine Wohnsitzauflage.
Spätestens wenn Herr Preuß (wieder jr.) in diesem Zusammenhang dann auch noch die Reduzierung der Zuzugsquote ins Spiel bringt wird klar, dass hier mal wieder geflüchtete Menschen und zugewanderte EU-Bürgern „in einem Topf geworfen“ werden. So arbeiten die Demagogen.
Die Vertreterin der FDP im ASA ist sogar davon überzeugt, dass die Einführung der Bezahlkarte die Schlepperkriminalität zurückdrängen könnte; weil mit der Karte ja keine Auslandsüberweisungen mehr möglich sind. Unterstützt wird sie dabei von Herrn Preuß senior; auch AfD.
Ich frage Sie, welche horrenden Summen kann man denn wohl als alleinstehende Person, die 441,00 Euro im Monat erhält, in die Heimat überweisen?
Herr Preuß (jetzt wieder junior) wirft bei dem Thema Auslandsüberweisungen gerne Millionen- und gar Milliardenbeträge in den Raum.
Wie? So viel überweisen Flüchtlinge nach Hause?
Natürlich nicht!
Der Faktencheck ergibt, solche Summen überweisen alle Menschen, die in Deutschland leben und einen Migrationshintergrund haben zusammen ins Ausland. Man kann‘s ja mal versuchen, denkt der Demagoge!
Der Verwaltung sind jedenfalls keine validen Daten zum Thema „Auslandsüberweisungen von Menschen im AsylbLG-Bezug bekannt“.
Die SPD-Fraktion hatte der Verwaltung 33 Fragen zum Thema Bezahlkarte gestellt. Der Sozialausschuss hat daraufhin zweimal die Abstimmung verschoben, um Zeit für die Bewertung der Antworten einzuräumen.
Diese Antworten haben deutlich gemacht, dass die Einführung der Karte einen erhöhten Aufwand mit sich bringen und statt Entlastung Mehrarbeit für die Mitarbeitenden bedeuten würde. Umfassende Umstellungen von eingespielten Verfahren wären erforderlich und das Land zahlt zwar für den Bezahlkartendienstleister; den erhöhten Personalaufwand hätte wieder einmal die Stadt selbst zu tragen.
Und dieser ganze Aufwand für gerade einmal 148 Menschen, die noch einen Check bekommen; die anderen 1.076 haben nämlich schon ein Girokonto.
Man sollte meinen, dass allein diese Zahlen schon gegen die Einführung der Bezahlkarte sprechen.
Für uns Grüne gibt es jedenfalls kein einziges Argument für die Einführung;
die Bezahlkarte brauchen wir in Gelsenkirchen nicht!
Und noch eines:
Auch wenn die Bezahlkarte wie eine VISA-Karte aussieht und augenscheinlich nichtdiskriminierend wirkt;
Menschen aufgrund der Tatsache, dass sie Geflüchtete sind, anders zu behandeln als Nicht-Geflüchtete ist eine Diskriminierung!
Aus diesem Grund haben alle Wohlfahrtsverbände der Stadt, die AWO, die Diakonie, der Caritasverband, das DRK und die Jüdische Kultusgemeinde ihre deutliche Ablehnung der Bezahlkarte im Sozialausschuss zum Ausdruck gebracht.
Die eingeschränkten Möglichkeiten, damit Einkäufe zu tätigen, die armen Menschen sehr wichtig sind, kommen ergänzend hinzu. Gemeint sind Flohmärkte, kleine Lebensmittel-Einzelhändler sowie Secondhand-Einkaufsmöglichkeiten.
Abschließend will ich noch einmal an alle Mitglieder dieses Rates appellieren:
Bitte entscheiden Sie auf der Grundlage von Sachargumenten
Fragen Sie sich bitte: was soll, was kann diese Karte denn tatsächlich für diese Stadt bringen?
Haben sie auch nur ein Argument für die Einführung der Karte gehört?
Alles andere ist Populismus auf Kosten schutzbedürftiger Menschen
Festgefahrene Entscheidungen sind heute vielleicht nicht mehr zu ändern; aber wir wissen, dass es Mitglieder in diesem Rat gibt, die ihre soziale Haltung auch bei dieser Abstimmung gerne zum Ausdruck bringen würden. Fraktionszwang kann doch Menschlichkeit nicht übertrumpfen.
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