Mehr Demokratie wagen!

In der Geschäftsordnung des Rates ist geregelt, wie alle Sitzungen in den Gremien der Stadt Gelsenkirchen ablaufen. Das hört sich zunächst einmal nicht so spannend an, aber es geht hier zum Beispiel darum, welche Rechte der Opposition zustehen und was aus den Sitzungen an die Öffentlichkeit gelangt. In diesem Punkt hat Gelsenkirchen enormen Nachholbedarf. Normalerweise legt ein neugewählter Rat der Stadt zu Beginn der Wahlperiode die Geschäftsordnung fest. Viele andere Städte haben das auch getan, in Gelsenkirchen dauert alles mal wieder etwas länger. Es gibt tausend gute Gründe, die Geschäftsordnung konstruktiv zu verändern. Hier sind die wichtigsten Vorschläge:

1) Warum muss alles in einem nichtöffentlichen Teil einer Sitzung komplett nichtöffentlich sein? Warum dürfen selbst das Thema und das Abstimmungsverhalten nicht veröffentlicht werden? Wenn Fraktionen dies öffentlich machen, werden sie sanktioniert. Warum? Wir finden, dass zukünftig in allen nichtöffentlichen Angelegenheiten über die wesentlichen nicht der Geheimhaltung oder dem Datenschutz unterliegenden Regelungen öffentlich informiert werden sollte.

2) Fraktionen haben das Recht, zu jeder Sitzung eigene Tagesordnungspunkte zu beantragen. Warum werden in Gelsenkirchen viele dieser Anträge von SPD und CDU sofort wieder abgesetzt? Offensichtlich weil die Mehrheit nicht diskutieren will und eine Regelung fehlt, die dies verhindert. Gerne auch mit einem Mindestquorum, das eine Absetzung verhindern kann. Oppositionsrechte sollten auch in Gelsenkirchen gelten. Daher fordern wir eine Quote, bei der auch eine Minderheit dafür sorgen kann, dass Anträge auf der Tagesordnung bleiben.

3) Warum wurden in den letzten Monaten mehrfach Tagesordnungspunkte vom Rat der Stadt und vom Integrationsrat zur Diskussion in die Fachausschüsse verwiesen und diese Ausschüsse konnten das Thema dann einfach ohne Diskussion sofort von der Tagesordnung absetzen? Weil es die Geschäftsordnung ermöglicht. Dieses Verhalten möchten wir daher durch eine Änderung der Geschäftsordnung unterbinden.

4) Bereits Anfang 2020 hatten wir einen Antrag gestellt, dass – so wie einigen anderen Städten auch – Vorlagen des Rechnungsprüfungsausschuss öffentlich beraten werden, da die Bevölkerung ein Recht darauf hat, zu erfahren, wie mit den finanziellen Mitteln einer Stadt umgegangen wird. Nach langen Hin und Her hat die gar nicht so große GroKo dies im April 2021 im Ausschuss abgelehnt, obwohl sie selbst immer wieder mehr Öffentlichkeit gefordert hatte. Jetzt, kurz vor der endgültigen Abstimmung in der Ratssitzung am 20.05.2021, die totale Rolle rückwärts: SPD und CDU legten einen eigenen Antrag vor, der dies vielleicht doch noch unter bestimmten Bedingungen ermöglicht. Genau das hätten wir auch früher haben können. Warum nicht einfach mal einem Grünen Antrag zustimmen? Denn der enthielt bereits genau diese Rahmenbedingungen.

5) Warum dauert es in Gelsenkirchen teilweise immer noch Monate, bis die Sitzungsprotokolle veröffentlicht werden? Zugegeben, es hat sich von früher bis zu 18 Monaten Wartezeit auf ca. 2 bis 3 Monate verbessert, es fehlen aber teilweise immer noch die Protokolle von Sitzungen, die im Januar bzw. Februar stattgefunden haben. Das läuft in jedem Sport- oder Kaninchenzüchterverein anders. Nein, besser. Durch einen Zusatz in der Geschäftsordnung könnten wir hier eine verbindliche Frist setzen, sodass sowohl die Mitglieder der Gremien als auch die Stadtgesellschaft zeitnah über Sitzungsverläufe informiert werden.

6) Warum haben die Fraktionen in strittigen Fällen einen Anspruch auf Einsicht in die Akten der Verwaltung, jedoch keinen Anspruch darauf, dass sie über das Ergebnis ihrer Akteneinsicht auch berichten dürfen? Auch diese Regelung verdeutlicht, dass eine Beteiligung der Stadtgesellschaft aktiv verhindert wird, indem sie von den dafür notwendigen Informationen ausgeschlossen wird.

7) Warum gibt es in Gelsenkirchen immer noch keinen Livestream? Ach ja, weil die GroKo den Antrag von GRÜNEN und DIE PARTEI sowie ihren eigenen Antrag dazu im März 2021 in geheimer Abstimmung abgelehnt hat. Das macht aber nix, denn die GRÜNE Fraktion hat zusammen mit DIE PARTEI für die erste Ratssitzung nach der Sommerpause diesen Punkt bereits wieder auf die Tagesordnung setzen lassen. Spannende Frage: Werden SPD und CDU auch wieder einen eigenen Antrag stellen und ihn dann wieder selbst ablehnen? Die Auflösung erfolgt leider erst im September.

8) Warum werden die Audioaufzeichnungen von den Sitzungen in Gelsenkirchen nach Fertigstellung des Protokolls eigentlich wieder gelöscht? Wenn es keinen Platz für die Lagerung gibt, könnten wir mit einem Kellerregal aushelfen. Lieferung gerne auch frei Haus.

9) Warum gibt es in Gelsenkirchen zu Beginn der Sitzung keine Fragestunde oder zumindest eine Fragehalbestunde für Menschen aus der Bevölkerung? In anderen Städten geht das ganz einfach. Die Fragen werden 10 bis 14 Tage vorher eingereicht und die Verwaltung muss in der Sitzung antworten. Dies würde eine unbürokratische Schnittstelle zwischen der Bevölkerung und der Stadtverwaltung herstellen und die politische Partizipation der Stadtgesellschaft stärken.

10) Warum dürfen in Gelsenkirchen Anfragen der Stadt- und Bezirksverordneten immer nur am Ende einer Sitzung gestellt werden und die Antwort erfolgt dann erst Wochen später in der nächsten Sitzung? Oder teilweise sogar noch später. Warum können die Fragen nicht einige Tage vorher eingereicht werden und die Antworten müssen dann – wenn möglich – mündlich in der Sitzung beantwortet werden? In Nachbarstädten ist dieses Vorgehen üblich und könnte auch in Gelsenkirchen den Informationsfluss beschleunigen.

Das alles sind Fragen, die nicht nur wir uns, sondern auch andere Gruppen und Oppositionsfraktionen sich gestellt haben und die teilweise auch schon als Änderungsanträge zur Geschäftsordnung vorliegen. Weitere Anträge von uns werden folgen. Mitte Juni soll endlich ein Workshop mit Politik und Verwaltung stattfinden, eine endgültige Entscheidung soll dann nach der Sommerpause fallen. Ändert sich endlich mal was in Gelsenkirchen? Wir geben die Hoffnung nicht auf und setzen uns weiterhin vehement für eine Änderung der Geschäftsordnung ein.