Rede der Fraktionsvorsitzenden Adrianna Gorczyk im Rat der Stadt am 07.12.2023 zu TOP 1.1  „Solidarität mit Israel und Bekämpfung von Antisemitismus“

Foto: Anna-Lisa Konrad

Die Rede ist über den offiziellen Livestream der Stadt hier verfügbar und beginnt etwa bei 00:58:20.

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,

liebe Kolleg*innen der demokratischen Fraktionen,

liebe Gelsenkirchener*innen,

am 7. Oktober hat die islamistische Terror-Organisation Hamas den souveränen Staat Israel überfallen und den größten Massenmord an Jüdinnen und Juden seit dem Holocaust verübt. Der Angriff galt nicht nur dem Staat Israel, sondern jüdischem Leben an sich.

Dieser Tag hat ein über Generationen bestehendes Trauma bei Menschen jüdischen Glaubens überall auf der Welt reaktiviert.

Auch in Deutschland, auch in Gelsenkirchen.

Jüdinnen und Juden vermeiden es, als solche in der Öffentlichkeit erkennbar zu sein, sie schicken ihre Kinder nicht in den Kindergarten oder in die Schule, sie ziehen sich aus dem Alltagsleben zurück.

Die Sorge um die Sicherheit von Familienangehörigen und der jüdischen Gemeinschaft beherrscht ihren Alltag, der erhöhte Schutz jüdischer Einrichtungen, der folgerichtig und unsere Pflicht ist, verstärkt den Eindruck der Bedrohungslage zusätzlich.

Sie fragen sich: Ist das erst der Anfang von etwas, das wir schon erlebt haben?

Jüdinnen und Juden, die in Deutschland leben, die Bürger*innen unserer Stadt sind, vielleicht hier geboren worden sind, wurden schon wenige Tage nach dem Massaker der Hamas dazu gedrängt, sich zum israelischen Regierungshandeln zu positionieren.

Währenddessen nahmen die Solidaritätskundgebungen mit Israel hierzulande ab, allein zahlenmäßig überwogen solche Demonstrationen, die unter dem Label „Pro Palästina“ stattfinden, auf einigen davon häufen sich antisemitische Parolen und Symbole.

Die vom Land NRW geförderte Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus, kurz RIAS NRW, hat im Zeitraum vom 7. Oktober bis zum 9. November 218 antisemitische Vorfälle in NRW gezählt. Das sind 7 Vorfälle pro Tag, was einen siebenfachen Anstieg im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. 92% dieser antisemitischen Vorfälle, also 201 Meldungen, haben einen Bezug zum aktuellen Kriegsgeschehen in Israel und Gaza.

Welche Auswüchse von Antisemitismus der Konflikt im Nahen Osten verursacht, erleben wir auch in Gelsenkirchen: die wiederholt heruntergerissene Israel-Fahne hier vor dem Rathaus verbunden mit der gewalttätigen Attacke auf den Gelsenkirchener, der Zivilcourage zeigte, die Schmierereien an der Gedenktafel für die Synagoge in Buer und an weiteren Stellen im Stadtgebiet, und ja, auch bei der Solidaritäts-Demonstration mit Palästina am 20. Oktober gab es Plakate mit problematischen bis strafbaren Inhalten.  

Diese Erfahrungen sind Anlass und Kernpunkt dieser Resolution.

Sie alarmieren uns, das Versprechen zu erneuern, den Schutz und die Freiheit jüdischen Lebens in unserer Stadt zu verteidigen und gegen jeden Antisemitismus einzutreten, gegen jede Erscheinungsform.

Als Stadtgesellschaft müssen wir verlässlich, unablässig und uneingeschränkt an der Seite der jüdischen Gemeinde stehen und deutlich fassen und machen, dass es keine Rechtfertigung und keinen Platz für Hass, Hetze und Gewalt gegen Menschen jüdischen Glaubens und gegen jüdisches Leben in Gelsenkirchen gibt.

Selbstkritisch sollten wir uns fragen, wie uns das gelungen ist. Was das wiederholte Hissen einer Israel-Flagge vor dem Hans-Sachs-Haus, der vergleichsweise verzögerte Schweigegang am vergangenen Montag und die heutige Resolution im Rat bedeuten. Und was sie eben nicht leisten können.

Wir müssen uns die Frage gefallen lassen: Tun wir genug?

Der Rat der Stadt hat im Juni diesen Jahres ein Lokales Handlungskonzept gegen Antisemitismus beschlossen. Von diesem gemeinsamen Anliegen haben sich Teile der Linken, der Vertreter der AUF, WIN und die AfD selbst ausgeschlossen, indem sie dagegen gestimmt haben.  

Dieses Konzept und die darin beschriebenen Handlungsfelder gilt es nun in konkrete Maßnahmen zu übersetzen.

Mit der Verabschiedung des Haushalts 2024 später in der Tagesordnung wird der Rat 12.000€ zusätzliche Mittel für Projekte gegen Antisemitismus im Stadtgebiet bereitstellen.

Die Stadt hält eine Broschüre zum Thema „Demokratieförderung, Gewalt- und Extremismusprävention“ an Gelsenkirchener Schulen vor. Zeitnah nach Kriegsausbruch in Israel und Gaza wurde diese zusammen mit weiteren Informationen zum Thema Antisemitismus an die Schulen verteilt und ein Austausch organisiert.

Ist nun das damit gemeint, wenn wir sagen, wir als Stadtgesellschaft engagieren uns gegen Antisemitismus?

Ja und mehr.

Wenn die hiesige „Initiative gegen Antisemitismus“ darauf hinweist, ob es nicht angezeigt wäre, für die Koordination der Maßnahmen für das lokale Handlungskonzept eine eigene Personalstelle in der Stadt einzurichten, dann ist es mehr.

Wenn Projekte gegen Antisemitismus nicht nur finanziell gesichert sind, sondern erfolgreich konzipiert und durchgeführt werden und die Menschen in unserer Stadt auch tatsächlich erreichen, dann ist es mehr.

Wenn Schulen zu Orten werden, an denen Vorurteile und Hass durch Begegnung, Dikussion und friedliches Miteinander abgebaut werden, dann ist es mehr.

Wen meinen wir, wenn wir von Stadtgesellschaft sprechen, auf wen zeigen wir, wenn nicht auch auf uns selbst.

Kann es überhaupt genug Einsatz gegen Antisemitismus geben, solange Antisemitismus existiert?

Nein.  

Aber nicht jedes Mittel ist zur Bekämpfung von Antisemitismus geeignet.

Nicht antimuslimischer Rassismus, sondern das Verbot und die Kappung des Einflusses von Organisationen, die den Terror der Hamas und anderer islamistischer Kräfte unterstützen oder verherrlichen, ist die richtige Antwort auf Antisemitismus.    

Nicht die Verschärfung des Demonstrationsrechts in einem funktionierenden Rechtsstaat, sondern die konsequente Durchsetzung geltenden Rechts, ist die richtige Antwort auf Antisemitismus.

Es gibt keinen Grund, das Selbstverteidigungsrecht Israels gegen das humanitäre Leid in Gaza, das Existenzrecht und die Sicherheit Israels gegen eine Zukunftsperspektive für Palästinenser*innen in Gegensatz zu bringen.

Das humanitäre Völkerrecht unterscheidet nicht zwischen menschlichem Leid. Es gibt uns den Rahmen, das Recht und den Auftrag, Kritik an Regierungen zu üben, Hilfe zu organisieren, Verhältnismäßigkeit und eine friedliche und gerechte Konfliktregelung einzufordern. 

Uns gegen Antisemitismus zu positionieren, darf für nichts geopfert werden, gerade dann nicht, wenn wir aufgewühlt und betroffen sind, wenn uns die Realität der Gleichzeitigkeit von Ungerechtigkeiten und Menschenrechtsverletzungen mit voller Wucht trifft.

Die Grüne Fraktion stimmt dem Antrag „Solidarität mit Israel und Bekämpfung von Antisemitismus“ zu, an dem wir beteiligt sind, und gegen den Antrag der Linken.

Vielen Dank!