Rede der Stadtverordneten Ingrid Wüllscheidt im Rat der Stadt am 28.09.2023 zu TOP 1.1 „Resolution gegen eine Zuständigkeits- und Aufgabenverlagerung des PK U25 aus dem SGB II in SGB III“

Foto: Anna-Lisa Konrad

Die Rede ist über den offiziellen Livestream der Stadt hier verfügbar und beginnt etwa bei 0:39:30.

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,

meine Damen und Herren hier im Saal,

liebe Gäste auf der Tribüne liebe und Zuschauer*innen zu Hause,

wir sprechen nun über den Tagesordnungspunkt:

Resolution gegen eine Zuständigkeits- und Aufgabenverlagerung des Personenkreises U25 aus dem SGB II in SGB III

Diese Resolution bringen die Fraktionen von SPD, CDU, uns Grünen und der FDP heute gemeinsam hier in den Rat ein.

Wäre ich nicht Mitglied dieses Rates und hätte mich dieser Rat nicht auch noch damit betraut in Gremien der Agentur für Arbeit Gelsenkirchen und des Jobcenters mitzuarbeiten, ich könnte mit dieser Überschrift für einen Tagesordnungspunkt nicht viel anfangen.

Vielleicht geht es der einen oder dem anderen von Ihnen auch so, also: worum geht es hier?

Wir haben seit 2004 ein System, dass beim Thema Arbeitslosigkeit zweigleisig fährt.

Auf der einen Seite kennen sie alle die Agentur für Arbeit (umgangssprachlich das Arbeitsamt), eine Bundesbehörde, die aus den Beiträgen von Arbeitnehmer*innen und deren Arbeitgebern finanziert wird. Sie leistet Arbeitsförderung nach den gesetzlichen Vorgaben des Sozialgesetzbuch III.

Auf dem zweiten Gleis die Jobcenter, die nach den gesetzlichen Vorgaben des SGB II agieren und ausschließlich aus Steuergeldern finanziert werden.

In unserer Stadt ist das Jobcenter eine gemeinsame Einrichtung von Bundesagentur für Arbeit und der Kommune.

Junge Menschen unter 25 Jahren erhalten hier die Leistungen des Bürgergeldes und anfallende Unterkunftskosten; das Jobcenter betreut sie bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt und bei allen Hindernissen auf diesem manchmal sehr schweren Weg. Und das eben alles aus einer Hand!

Darüber hinaus soll die Beteiligung der Kommune an den Jobcentern sicherstellen, dass die Besonderheiten eines lokalen Arbeitsmarktes bei allen Planungen Berücksichtigung finden. Und Gelsenkirchen hat schon allein bei der Anzahl von erwerbslosen Menschen, bei der Jugendarbeitslosigkeit und bei der Kinderarmut Einiges an besonderen Herausforderungen aufzuweisen.

Lassen Sie mich an dieser Stelle einmal ausdrücklich darauf hinweisen, dass beide Institutionen – also das Jobcenter und die Agentur- hier in unserer Stadt eine sehr engagierte Arbeit leisten, und dass bei Ihnen das Thema Jugendarbeitslosigkeit zur Zeit im besonderen Fokus steht.

Und in diese gut laufende Arbeit schlagen die Pläne von Minister Heil natürlich wie eine Axt im Walde ein.

Er will die Sozialgesetzbücher III und II verändern!

Jugendliche über 15 Jahre und junge Erwachsene unter 25 Jahre sollen nun nicht weiter von den Jobcentern betreut werden; das soll ab dem 01.01.2025 die Agentur für Arbeit übernehmen.

Ein solcher Schritt wäre vielleicht noch nachvollziehbar, wenn sachliche oder fachliche Begründungen dafür vorgetragen würden. Das ist allerdings nicht der Fall.

Es geht ausschließlich um das Einsparen von Steuermitteln für den Bundeshaushalt 2025!

Ich zitiere aus der Kabinettsvorlage des Bundesfinanzministeriums; dort steht auf der Seite 10 „Weitere spürbare Entlastungen des Bundeshaushaltes werden ab dem Jahr 2025 im Einzelplan des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) erzielt, indem aktive Leistungen für bürgergeldbeziehende Menschen unter 25 Jahren ab dem 1. Januar 2025 statt wie bisher aus dem Sozialgesetzbuch II aus dem Sozialgesetzbuch III erbracht werden.“

Welche Folgen diese Umstrukturierungen für ein gut funktionierendes System, für die Mitarbeitenden in der Agentur  und Jobcenter und vor allem für die betroffenen jungen Menschen haben wird, dazu kein Wort aus dem Bundesministerium!

Die betroffenen jungen Menschen werden zukünftig mit Jobcenter wegen dem Bürgergeld und mit der Agentur wegen ihrem Bildungsweg bzw. ihrem Weg in die Berufstätigkeit zwei Behörden aufsuchen müssen.

Man muss kein Hellseher sein, um sich auszumalen, dass das für viele eine doppelte Barriere darstellt. Es steht zu befürchten, dass dadurch die Integrationszahlen zurückgehen könnten.

Meine Oma hätte dazu gesagt: da wird mit dem Hintern umgehauen, was mit den Händen aufgebaut wurde.

Und das ungeheuerliche an diesen Planungen ist (ich sagte es schon) – es gibt kein einziges fachliches Argument, was diese Veränderungen begründet.

Es geht einzig und allein um Einsparungen von Steuergeldern, die zukünftig von den Beitragszahlenden in der Arbeitslosenversicherung finanziert werden sollen.

Erfreulich ist der große und breite Widerstand im ganzen Land:

Gewerkschaften, der Deutsche Städtetag, der Landkreistag NRW, die Sozialverbände und viele mehr lehnen dieses Vorhaben der Bundesregierung kategorisch ab –

wir als Rat der Stadt Gelsenkirchen wollen uns mit dieser Resolution dem Protest anschließen.