Rede des Stadtverordneten Burkhard Wüllscheidt im Rat der Stadt am 15.02.2024 zu TOP 2.2 „Bebauungsplan Nr. 451 der Stadt Gelsenkirchen“ – BP-Norderweiterung

Foto: Anna-Lisa Konrad

Die Rede ist über den offiziellen Livestream der Stadt hier verfügbar und beginnt etwa bei 05:03:35.

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,
meine Damen und Herren hier im Ratssaal
und vor den Bildschirmen!

Das sind sie, die ca. 700 Seiten der heutigen Bebauungsplanvorlage. Damit soll ein erneuter Anlauf zur Umwandlung eines Freiraumes in einem Landschaftsschutzgebiet im Norden unserer Stadt für eine Erweiterung des dortigen BP-Standortes in Gang gesetzt werden.

In dieser Vorlage waren alleine ca. 450 Seiten notwendig für die Dokumentation sowie für die Prüfung und Abwägung der Stellungnahmen und Einwendungen von Bürger*innen, aber auch von Nachbarstädten und Behörden.

Hier mal nur zwei kurze Zitate daraus, die ich schon in der letzten Planungsausschuss-Sitzung vorgetragen hatte:

„Insgesamt erscheint die (…) vorgelegte Planung (…) nicht belastbar.“
„Gegen den Bebauungsplan bestehen erhebliche Bedenken.“

Sie dürfen raten von wem… diese Zitate stammen von der Bezirksregierung Münster! Einer in der Vergangenheit nicht gerade für eine industriekritische oder gar BP-kritische Haltung bekannte Aufsichtsbehörde.

Diese und alle anderen Einwendungen gegen die Planung wurden selbstverständlich durch die Verwaltung geprüft. Aber sie wurden letztlich alle im Wesentlichen verworfen. Verworfen aus Sicht der Verwaltung in der Abwägung zwischen der Bedeutung des Freiraumschutzes sowie den Folgen für die umliegenden Stadtteile auf der einen Seite und der von BP behaupteten Zukunftschancen für die Klimaneutralität auf der anderen Seite.

Das sehen wir anders! Aber keine Angst, meine lieben demokratischen Ratskolleg*innen, ich habe nicht die Hoffnung oder die Absicht heute eine Fachdebatte nachholen zu können.

Ich werde allerdings unseren Standpunkt darlegen, wie er sich zur heutigen finalen Entscheidung darstellt. Ich werde begründen, warum wir weiterhin diese Vorlage ablehnen:

Zu Beginn der ganzen Geschichte zur BP-Norderweiterung – also vor mehr als 15 Jahren – wollte BP diese Erweiterung nicht in erster Linie wegen des zu diesem Zeitpunkt dort erstmals als Provisorium eingerichteten Fremdfirmenparks. Nein, BP wollte dort seine petrochemischen Industrieanlagen erweitern. Damals noch im festen Glauben an die Zukunft fossiler Einsatzstoffe wie Erdöl.

Diese Planungen und ein erster Bebauungsplanversuch sind inzwischen von den weltweit notwendigen Konsequenzen aus der Klimakatastrophe überholt und auch vom BP-Management begraben worden.

Aber schauen wir nach vorne:

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung hat das BP-Management inzwischen sogar die Erreichung der Klimaneutralität bis spätestens 2050 als strategisches Unternehmensziel für den Standort Gelsenkirchen auf seine Fahnen geschrieben.

Bravissimo! Dem können wir nur zustimmen. Allein schon, um möglichst viele der derzeitigen Arbeitsplätze mittel- und langfristig zu sichern! Was auch das Ziel der GRÜNEN ist.

Insofern nehmen wir das BP-Management und dieses Ziel durchaus ernst. Aber allein das Ziel auszurufen, reicht nicht! Die konkreten Pläne und vor allem Taten zählen. Nur so macht das Argument der Arbeitsplätze Sinn und nicht blind!

Der von BP propagierte Weg zur Klimaneutralität, wenn er denn mehr sein soll als Imageverbesserung und Greenwashing, dieser Weg erfordert einen gewaltigen Transformationsprozess.

Bis heute liegt von BP kein Konzept vor, wie dieser sicherlich lange Weg zu Produkten aussehen soll, deren Herstellung letztlich keine fossilen Einsatzstoffe mehr benötigen würde. Der einzige Verweis ist bisher die Nutzung einer Technologie, mit der Pyrolyseöl aus Alt-Kunststoffen gewonnen werden soll. Hört sich erst mal gut an. Aber was bisher fehlt ist ein schlüssiger Nachweis, dass solche Anlagen in der erforderlichen Qualität und Quantität signifikant Erdöl als Einsatzstoff ersetzen könnten. Erst ein solcher Nachweis würde nachvollziehbar machen, dass diese Anlagen zur Erreichung der Klimaneutralität des BP-Standortes und damit zur Sicherung dieses Standortes und der Arbeitsplätze dort strukturell und dauerhaft beitragen würden.

Dass ein solcher Nachweis aus unserer Sicht nicht erkennbar ist, hat uns nach unseren eigenen Recherchen und Gesprächen mit vielen Fachleuten, Wissenschaftler*innen und auch mit dem BP-Management nicht überrascht. Ist doch diese Technologie als sinnvoller Recycling-Ansatz umstritten, für die großindustrielle Nutzung technisch unausgereift und zudem mit nicht auszuschließenden Umweltgefahren verbunden.

Daher ist für uns ebenso nicht überraschend, dass der durch BP in Rede stehende US-Investor, die Firma Brightmark, es bisher nicht geschafft hat, seine vor einigen Jahren errichtete Anlage in Indiana/USA mit einer Jahreskapazität von 100.000t Kunststoffabfällen in den Dauerbetrieb zu übernehmen. Ebenfalls ist Brightmark mit einer weiteren ähnlichen Anlage in Georgia/USA bereits vor Baubeginn an der Zustimmung der örtlichen Behörden gescheitert.

Und dazu sollte uns zu denken geben: jede der im Bereich der BP-Norderweiterung durch den Bebauungsplan möglichen bis zu drei Pyrolyseölanlagen mit einer Jahreskapazität von je 360.000 t Kunststoffabfälle (pro Anlage das 3½-fache der genannten Anlagen in den USA), schon jede einzelne dieser Anlagen wäre derzeit die weltgrößte ihrer Art.

Nichtsdestotrotz haben wir die Zielsetzung des BP-Managements zur Klimaneutralität – wie schon gesagt – ernst genommen und als Grüne Fraktion immer betont, dass wir durchaus bereit wären, über eine industrielle Nutzung dieses Freiraumes im Landschaftsschutzgebiet nachzudenken. Erste Voraussetzung war und ist für uns aber weiterhin der klare Nachweis eines signifikanten Beitrages zu den oben genannten Zielsetzungen, der einen solchen Eingriff in den Freiraum ggfls. rechtfertigen könnte. 

Genau auf die Erfüllung solcher Voraussetzungen zielten auch meine drei Nachfragen ab, die ich in der oben schon erwähnten Planungsausschuss-Sitzung der Verwaltung gestellt habe. Sie sind, wie von uns erbeten, von der Verwaltung noch vor der heutigen Ratssitzung schriftlich beantwortet worden.

Uns haben die in den Antworten der Verwaltung – wie es dort steht – „nach Angaben von BP“ dargestellten Zahlen nicht überzeugt. Wie z.B. die der behaupteten CO2-Einsparung. Ebenso die dort wiedergegebene reine Behauptung von BP, dass in der geplanten Pyrolyseölanlage verunreinigte Kunststoffabfälle verarbeitet werden könnten, die bisher in Müllverbrennungsanlagen verbrannt werden.

Die dort genannten Angaben von BP sind nicht einer Prüfung oder gar gutachterlichen Bewertung unterzogen worden. Dazu passt auch, dass die in der Bebauungsplanvorlage genannten „fortgeschrittenen betrieblichen Machbarkeitsstudien“ zu den Pyrolyseölanlagen der Verwaltung von BP nicht zugänglich gemacht worden sind, wie die Verwaltung selber schreibt in einer der Antworten zu meinen Fragen.

Wir bleiben dabei: Dieser sogenannte Angebotsbebauungsplan ist für uns nicht zustimmungsfähig.

Wir hatten von Beginn an immer auf einen sogenannten vorhabenbezogenen Bebauungsplan gedrungen. Ein solcher Bebauungsplan mit einem entsprechenden Durchführungsvertrag zwischen Stadt und Investor (Beispiel MLP Berliner Brücke!) hätte es uns als Stadt ermöglicht, ausschließlich konkrete Vorhaben zu prüfen und fundiert über deren Ermöglichung zu entscheiden.

Nur dieser Weg wäre für uns ein vertretbarer Weg für eine verantwortliche Abwägungsentscheidung gewesen. Für eine Abwägung zwischen dem Schutz dieses Freiraumes im Landschaftsschutzgebiet und einem signifikanten Beitrag eines konkreten industriellen Vorhabens zur Erreichung der Klimaneutralität an diesem BP-Standort.

Beides für uns höchst bedeutsame Klimaschutzziele, die einer wirklich fundierten Abwägung bedürfen, um sich gegen das eine und für das andere Ziel zu entscheiden. Ein Weg, der im Übrigen im Einklang mit dem von diesem Rat beschlossenen Klimanotstand und Klimaschutzkonzept für Gelsenkirchen stehen würde. 

Bei den Pyrolyseölanlagen und dem Freifahrschein für BP (für den Fall, dass diese Anlagen gar nicht realisiert würden) ist unsere Abwägungsentscheidung eindeutig: Für den Schutz des Freiraumes im Landschaftsschutzgebiet! Gegen das Greenwashing von BP und gegen den Freifahrtschein für BP durch den vorliegenden Angebotsbebauungsplan.

Abschließend noch folgendes:

Wir glauben zudem, dass dieser Bebauungsplan trotz aller Mühen der Verwaltung und seines Umfangs rechtlich auf sehr wackeligen Beinen stehen wird.

Es bleibt abzuwarten, ob es wie beim ersten Bebauungsplan zur BP-Norderweiterung zu Klagen kommt und auch dieser Plan letztlich wieder vor Gericht scheitert. Die Stadt Marl hat schon früh ihre großen Bedenken geäußert. Die Grünen haben dort zusammen mit der CDU übrigens, liebe GroKo, entsprechende Anträge gestellt. Aktuell hat die Verwaltung der Stadt Marl bereits angekündigt, dass sie nach unserer heutigen Verabschiedung eine Klage prüfen wird. Uns würde es wundern, wenn nicht noch weitere Klagen aus der Bürgerschaft hinzukommen würden.