Rede von Patrick Jedamzik zum TOP „Aussetzung des Klimanotstandes in Gelsenkirchen“

Foto: Anna-Lisa Konrad

Gehalten in einer minimal verkürzten Version am 26.04.2022 im Ausschuss für Umwelt, Nachhaltigkeit, Klimaschutz. Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

wir haben lange überlegt, wie wir mit diesem Antrag umgehen. Nicht in der Abstimmung, sondern im Inhalt. Nimmt man die sogenannten Argumente und widerlegt sie einzeln?

Weißt man darauf hin, dass es vor und nach der so genau analysierten Studie von Cook umfangreichere Meta-Studien zum menschlichen Einfluss des Klimawandels gab, die alle zu ähnlichen Ergebnissen kamen?

Oder darauf, dass der Mensch erst 483 Millionen Jahre nach dem Kambrium aufkam und damit andere lebensfreundliche Bedingungen gewohnt ist?

Ich glaube wir würden uns hier in Details verzetteln, über die weitaus fähigere Leute als Sie und ich seit über 40 Jahren gestritten haben, auch wenn Sie die diesen wissenschaftlichen Konsens bekanntlich anzweifeln. Aber gut, das haben Sie in den letzten Monaten ja auch schon, wenn es um Corona, Masken und Impfstoff ging.

Und das ist der Kern Ihrer Politik. Wenn Wissenschaft unbequem wird, wird sie angezweifelt. „Mut zur Wahrheit“ haben Sie vor einigen Jahren im Wahlkampf als Slogan benutzt, aber Ihr „Mut zur Wahrheit“ besteht in selektiver Wahrnehmung und Ausblendung ungeliebter Fakten. Und durch diese Leugnung fehlt der Mut, notwendigen Reaktionen entgegen zu treten und dafür Lösungen zu finden.

Ihr „Mut“ besteht darin, den Menschen vorzugaukeln, man könne einfach so weitermachen wie bisher. Kein Mut zur Veränderung. Und dann kommt eben Pseudowissenschaftlichkeit wie bei dem CO²-Gehalt im Kambrium. Natürlich gab es auf der Erde Leben. Die Natur wird auch mit dem Klimawandel klar kommen. Irgendwie. Aber der Mensch? Bei 3 Grad Erderwärmung haben 30% der Erdbevölkerung keine vernünftigen Bedingungen mehr. Vielleicht kommen Sie selbst drauf, wie es wäre, wenn wir wie im Kambrium ca. 7 Grad mehr hätten?

Aber wie gesagt, Fakten spielen keine Rolle. Diskussionen hier werden keine Positionen ändern. Das wird auch in ihrem Antrag deutlich. Die Grundlage ihrer Politik ist folgendes:

„Es ist dem hart arbeitenden Kleinverdiener nämlich völlig egal, ob die Welt irgendwann mal untergeht. Er muss im „Hier und Jetzt“ mit den Konsequenzen einer völlig verfehlten Klima- und Energiepolitik leben.“

Der letzte Satz stimmt sogar: Wir müssen heute in der Tat die Konsequenzen einer verfehlten Klima- und Energiepolitik ausbaden. Hätte man vor 20, 30 Jahren Klimaschutz nicht nur in ein schönes Kyoto-Protokoll schreiben, sondern direkt angegangen, wären wir heute weiter. Das gleiche bei der Energieversorgung.

Aber klar, ihnen geht es ums „hier und jetzt“; Um zukünftige Politik. Aber auch da unterschätzen Sie den „Hart arbeitenden Kleinverdiener“. Der Weltuntergang ist ihm wahrscheinlich wirklich egal. Ist er mir aber auch, denn die Erde wird erst in 5-8 Millionen Jahren in die Sonne fallen. Aber die dauerhaften Veränderungen im Weltklima erleben sowohl die Kleinverdiener:innen , aber auch deren Kinder und Enkelkinder bereits jetzt und in Zukunft viel stärker.

Den meisten Kleinverdiener:innen und auch den demokratischen Parteien hier ist es darum auch nicht egal, wie es in 20, 50 oder 100 Jahren auf dieser Erde sein wird. Darum blickt unsere Politik nicht nur auf das „hier und jetzt“, sondern auch in die die Zukunft. Bei Ihrer Politik ist es aber eben egal, was in 30 Jahren ist – Hauptsache man muss im „hier und jetzt“ keine Konsequenzen erdulden. Diese tragen dann die folgenden Generationen. „Nach mir die Sinnflut“ ist ihre Politik – leider im wörtlichem Sinne.

Und auch, wenn sie versuchen eine soziale Komponente daraus zu machen: Niemandem hier ist der „hart arbeitende Kleinverdiener“ egal. Soziale Fragen gegen Umweltschutz auszuspielen ist zwar leicht, aber auch falsch: Wer leidet denn am meisten an der Umweltverschmutzung des SUV mit „Fuck You Greta“ aufkleber? Menschen in günstigen Wohnungen an den Hauptverkehrsstraßen. Wie viele „hart arbeitende Kleinverdiener“ können sich im Sommer Klimaanlagen leisten, um vor der Hitze geschützt zu werden, wenn Temperaturen weiter steigen?

Umweltpolitik ist darum auch Sozialpolitik und natürlich müssen soziale Härten beispielsweise mit einem Energiegeld abgefedert werden. Was aber niemandem hilft und reine Show ist, ist dieser Antrag von Ihnen.

Sie legen keine Konsequenzen dar, die der Klimanotstand für „den hart arbeitenden Kleinverdiener“ hat. Im „hier und jetzt“ ist alleine die Verwaltung beauftragt die Klimarelevanz von Beschlussvorlagen darzustellen. Also, wie helfen Sie hier dem „hart arbeitenden Kleinverdiener“?

Und auch wenn Fakten für Sie bekanntlich nur eine untergeordnete Rolle spielen, möchte ich Sie kurz darauf hinweisen, dass ihre Begründung auch schon mit falschen Informationen beginnt. Der Rat hat nicht die vom Umweltausschuss einstimmig eingebrachte Variante beschlossen, sondern eine von SPD und CDU entschärfte Variante. In dieser lautet ihr zitierter Absatz:

„Der Rat erkennt an, dass die Eindämmung des vom Menschen beeinflussten Klimawandels in der städtischen Politik ab sofort zu den städtischen Handlungsfeldern gehört, denen in Gelsenkirchen höchste Priorität eingeräumt wird“

Wichtige Handlungsfelder; Klimaschutz dazu. Sie finden dies in Vorlage 14-20/7533. Wir haben sie damals abgelehnt, weil diese Aufweichung für uns zu weit ging, aber werden natürlich heute auch Ihren Antrag ablehnen. Denn auch wenn wir uns in der Dringlichkeit oder Schärfe unterscheiden mögen, stehen wir demokratischen Parteien gemeinsam für eine Verantwortung auch über das „hier und jetzt“ hinaus und einen wirklichen „Mut zur Wahrheit“ ein, zu dem gehört, dass ein „weiter so“ eben nicht ewig funktioniert.

Zum Abschluss muss ich aber noch einen letzten Punkt Ihres Antrags ansprechen, weil ich Ihnen besonders verachtenswert finde: Sie behaupten, dass durch einen Fall des CO² Wertes auf eine vorindustrielle Zeit Fluchtursachen entstehen würden, weil Nahrungsmittel fehlen. Sie schreiben Fluchtursachen sogar extra fett und mit drei Ausrufezeichen.

Lassen wir mal außen vor, dass wir es nicht schaffen werden, wieder auf diesen vorindustriellen Wert zurück zu fallen, denn dazu müssten wir nicht nur weniger CO² in die Luft blasen – worüber wir gerade reden – sondern CO² faktisch entfernen und es damit fast halbieren. Wird nicht so schnell geschehen.

Aber es ist Ihre Partei, die so gut wie jeden Geflüchteten als „Wirtschaftsflüchtling“ bezeichnet. Wir sollen jetzt ernsthaft glauben, dass Sie sich plötzlich um die Nahrungssicherheit sorgen? Kleiner Hinweis: Es gibt heute schon Hungerkrisen, die Fluchtursachen darstellen.

Und wie meinen Sie, dass sich diese entwickeln wird, wenn die Temperaturen weiter steigen? Aber ich kann mir schon vorstellen, wie die AfD Politik aussehen würde, wenn Menschen aufgrund von Dürre oder dem Versinken von Küstengebieten und Inseln nach Europa kommen sollten.

Wenn es Sie dann noch gibt, würden Sie die ausländerfeindliche Karte spielen, sagen, dass man den Deutschen im „hier und jetzt“ die Zuwanderung „nicht zumuten“ könnte und verheimlichen, dass ihr Einsatz gegen den Klimawandel darin bestand darauf hinzuweisen, dass zur Zeit des Kambriums ja auch Nesseltiere, Gliederfüßer, Schwämme und Würmer auf der Erde lebten und dies nicht lebensfeindlich war.

Sie bestätigen doch selber in ihrem Antrag, dass wir die höchsten CO² Konzentration der Menschheitsgeschichte haben und einen schnelleren Anstieg, als in der Natur bisher vorgekommen. Sie sind ganz nah an der Wahrheit dran, nehmen Sie doch einmal „Mut zur Wahrheit“ ernst und ziehen Sie diesen Antrag zurück. Ansonsten lehnen wir ihn ab.