Rede zur neuen Geschäftsordnung

Foto: Anna-Lisa Konrad

Rede von Peter Tertocha in der Ratssitzung am 09.12.2021
Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,
liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter für eine offene und demokratische Gesellschaft,

eine Debatte über eine neue Geschäftsordnung für den Rat der Stadt Gelsenkirchen klingt für viele Menschen innerhalb und außerhalb der Politik erstmal nicht unbedingt spannend. Schaut man aber bei der bisherigen Geschäftsordnung und den geplanten Änderungen genauer hin, dann zeigen sich bei der Frage der Transparenz sehr deutliche Unterscheide in den politischen Bewertungen und auch sehr unterschiedliche Ansätze zwischen den einzelnen Parteien bei den zukünftigen Rechten und Arbeitsmöglichkeiten der Stadtverordneten im Rahmen der Sitzungen.

In mehreren Workshops und in seiner sehr langen Beratung im Hauptausschuss in der letzten Woche wurde zum Beispiel ausführlich über die Frage diskutiert, was zukünftig in Gremiensitzungen nichtöffentlich sein soll und welche Informationen öffentlich gemacht werden können. Das Ergebnis aus Sicht der Grünen Fraktion lautet: Alles bleibt wie es war, alles bleibt nichtöffentlich.

Dass es anders geht, zeigen mehrere Nachbarstädte. Dort werden beispielsweise die Beratungs- und Abstimmungsergebnisse aus nichtöffentlichen Sitzungen veröffentlicht und nur die schutzwürdigen Interessen bleiben nichtöffentlich. Ebenso gibt es auch Regelungen, dass die nicht dem Datenschutz unterliegenden Informationen in einer öffentlichen Sitzungsvorlage beschrieben werden.

Die grünen Änderungsanträge hierzu wurden von der Groko abgelehnt. Die Frage lautet daher: Warum ist eigentlich in vielen anderen Städten mehr Öffentlichkeit möglich und in Gelsenkirchen nicht?

Zweites Beispiel: Dass Fraktionen Tagesordnungspunkte für eine Sitzung beantragen können, ist sowohl in der Gemeindeordnung des Landes NRW als auch in der Geschäftsordnung für den Rat der Stadt Gelsenkirchen und seiner Ausschüsse geregelt. Dieses Recht wird jedoch praktisch ausgehebelt, wenn diese Tagesordnungspunkte mit einfacher Mehrheit wieder abgesetzt werden können (früher von der SPD, heute von der Groko – ansonsten hat sich wenig bis nichts geändert). Daher haben wir erneut – wie bereits 2017 – beantragt, dass Tagesordnungspunkte, deren Beratung von einem Viertel der Stadtverordneten gefordert worden ist, nicht von der Tagesordnung abgesetzt können.

Möglich wäre solch eine Regelung. Im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie gibt es eine Geschäftsordnungsautonomie und dadurch kann die Geschäftsordnung auch Regelungsspielräume nutzen, die die Gesetzgebung offengelassen hat, wenn es um innere Angelegenheiten handelt und die Regelungen nicht im Widerspruch zu höheren Rechten stehen.

Aber auch hier fehlte es am Willen und so gab es auch hier eine ablehnende Haltung, obwohl die CDU-Fraktion dem wortgleichen Antrag der Grünen Fraktion im Jahr 2017 noch zugestimmt hatte. Aber jetzt hat Gelsenkirchen ja eine Groko, dann ist das alles für die CDU natürlich ganz was anderes. Das bedeutet unterm Strich, dass SPD und CDU auch weiterhin allein darüber entscheiden können, welche Themen im Rat der Stadt Gelsenkirchen diskutiert werden und welche nicht.

Drittes Beispiel: Eine besonders interessante Variante der Demokratiestärkung nach Gelsenkirchener Modell ist die zukünftige Vorgehensweise bei mehreren Anträgen von mehreren Fraktionen zu einem Tagesordnungspunkt. Eigentlich gibt es eine ganz einfache und logische Vorgehensweise bei der Reihenfolge: Beratung und Abstimmung nach Eingangsdatum.

Nicht so in Gelsenkirchen: „Bei mehreren Antragsstellenden oder Anträgen richtet sich die Reihenfolge jeweils nach der Fraktions- und Gruppenstärke.“ lautet die neue Formulierung. Heißt übersetzt: Die Groko hat sich ihr in den letzten Monaten mehrfach praktiziertes Vorgehen jetzt auch noch in der Geschäftsordnung festschreiben lassen.

Dieses Verhaltensmuster haben auch wir in der Vergangenheit mehrfach erlebt. Die Grüne Fraktion beantragt fristgerecht gut 2 Wochen vor einer Sitzung einen Tagesordnungspunkt und stellt dazu einen Antrag. Dann passiert erstmals einige Tages gar nichts und dann kommt kurz vor der Sitzung (meistens 24 bis 36 Stunden vor Beginn) ein eigener – manchmal nur in Nuancen neuer – Antrag der Groko auf den Tisch und bei diesem neuen Antrag hat die Groko dann das erste Rederecht. Und darüber wird auch immer zuerst abgestimmt, da die Oberbürgermeisterin genauso wie ihr Vorgänger in den Ratssitzungen nach kurzer, reiflicher Überlegung stets zu dem Ergebnis kommt, dass der Antrag von SPD und CDU der weitergehende Antrag zu sein scheint und wir erstmal darüber abstimmen sollten.

Und dann bräuchte man ja auch nicht über den Grünen Antrag abstimmen, weil ja schon der Antrag der Groko beschlossen wurde. Kurzer demokratietheoretischer Exkurs: Es soll theoretisch möglich sein, dass die Mehrheit auch einem Antrag der Opposition zustimmen kann. Aber dafür fehlen der aktuellen Ratsmehrheit sowohl die Flexibilität als auch die Souveränität.

Für die Oberbürgermeisterin wird es dagegen einfacher. Sie muss nicht mehr überlegen wie sie die Reihenfolge begründen muss, sie muss nach der neuen Geschäftsordnung nur noch die Anzahl der Stadtverordneten aus den einzelnen Fraktionen im Kopf haben. Das reicht dann für eine Standardbegründung mit Verweis auf die Geschäftsordnung.

Was bleibt an positiven neuen Ergebnissen? Nicht viel! Die Protokolle der Sitzungen werden nun doch nicht auf reine Ergebnisprotokolle reduziert und können nach Inkrafttreten der neuen Geschäftsordnung sogar endlich auch korrigiert werden, wenn sie offensichtliche Fehler z. B. beim Abstimmungsverhalten enthalten. Na, das ist aber mal ein Fortschritt. In der Vergangenheit war aber selbst das nicht möglich, da gab es nur einen Hinweis im Protokoll der folgenden Sitzung, dass das vorherige Protokoll fehlerhaft war.

Diese Selbstverständlichkeiten sind Mini-Fortschritte, reichen aber für eine Zustimmung der Grünen Fraktion zu dieser neuen Geschäftsordnung noch nicht einmal ansatzweise aus. Deshalb lehnen wir den vorgelegten Entwurf ab.

Nur zur Erinnerung: Vor knapp 2,5 Monaten haben SPD und CDU ein sogenanntes Demokratiestärkungspaket für Gelsenkirchen beantragt. Nach den Diskussionen um die neue Geschäftsordnung haben wir jetzt schon einige Befürchtungen wie die Groko Demokratiestärkung in den anstehenden Debatten interpretieren wird.