Rede der Fraktionsvorsitzenden Adrianna Gorczyk im Rat der Stadt am 23.03.2023 zu TOP 1.1 „Erklärung des Rates der Stadt Gelsenkirchen zum Krieg in der Ukraine“

Foto: Anna-Lisa Konrad

Die Rede ist über den offiziellen Livestream der Stadt hier verfügbar und beginnt etwa bei 1:16:30.
Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,

liebe Kolleg*innen der demokratischen Fraktionen,

liebe Gelsenkirchener*innen,

ich zitiere:

„Als ich am 24. Februar aufwache, den Laptop hochfahren lasse, Nachrichten mitbekomme und sie dann erst begreife, sackt meine Welt in sich zusammen, behält aber ihren Schein. Die Maschine misst Kaffee ab, gluckert im Inneren, sondert den Kaffeesatz ab. Ich wecke meine Kinder, sage alltägliche Worte, aber meine Welt wird in Schutt und Asche gelegt, langsam wie im Kino. Von außen ist mir fast nichts anzumerken. Ich fahre zur Arbeit dank einer Trägheitskraft, als ob nichts wäre, aber da ist das Nichts. Es schaut mich an, gleichgültig und mit ein wenig Ekel.“, so beschreibt die Schriftstellerin Julia Grindberg ihre Erinnerung an den Tag, an dem der russische Präsident Putin die Ukraine angegriffen hat.

Bis heute herrscht Krieg in Europa.

Was es real und nicht metaphorisch bedeutet, wenn die Welt um einen herum in Schutt und Asche gelegt wird, werden sich wohl nur die wenigsten von uns hier im Rat der Stadt vorstellen können oder sogar erfahren haben müssen.

Auch sind es sicherlich andere, die Anteil daran haben werden, den Frieden, von dem wir nicht wissen, wann wir auf ihn hoffen dürfen, wiederherzustellen.

Den Beitrag, den Gelsenkirchen, den wir als Stadtgesellschaft leisten können, ist ein anderer – er heißt Solidarität.

Solidarität ist keine Antwort auf den Krieg, sondern eine Antwort an die Menschen, die ihn erleiden.

Mit ihr versichern wir einander: die Konstante in dieser aus den Fugen geratenen Welt ist und bleibt die Menschlichkeit.

Und sie ist ein Weg aus der Ohnmacht, sie bringt uns zum Handeln, zum Helfen.

„Nur das macht in dieser Zeit Sinn.“, schreibt Grindberg und:

„Solidarität wird von einer Losung zur einzig möglichen Lebensform.“

Einer derer in Gelsenkirchen, die diese Lebensform verinnerlicht haben, war Jürgen Hansen. Sein unermüdlicher Einsatz zeit seines Lebens für Geflüchtete aus der ganzen Welt und für die Menschen in der ukrainischen Stadt Krementschuk mag uns allen Vorbild sein. Sein Tod macht uns betroffen und unser Mitgefühl gilt allen, die um ihn trauern.

So viele Gelsenkirchener*innen haben von Anfang an großartige Unterstützung geleistet: Ob Hilfslieferungen nach Krementschuk oder die Aufnahme oder Betreuung von Geflüchteten, ob in ehrenamtlicher oder hauptamtlicher Funktion: Sie alle haben Solidarität gelebt. Dafür sind wir Ihnen als grüne Ratsfraktion sehr dankbar.

Viel wird aktuell darüber gesprochen, welchen gewaltigen Herausforderungen die kommunale Familie angesichts des russischen Angriffskrieges gegenüber steht.

Wir debattieren über die Verteilung, die Kosten der Unterbringung und Verpflegung von Geflüchteten, über Kita- und Schulneubauten, über geeignete Integrationsmaßnahmen und Teilhabechancen, über die Folgen der Energiekrise, wie Land und Bund sich einbringen, von Grenzen des Zumutbaren, gar des Machbaren.

An dieser Stelle wird es technisch – schwierig – brüchig.

Aber all das darf nicht Endlichkeit bedeuten. Unsere Solidarität darf nicht nachlassen.

Denn währenddessen steht die Ukraine weiter unter Beschuss. Menschen sind obdachlos in diesem Winter, Stromausfälle, Wasser- und Lebensmittelmangel sowie eine mangelhafte medizinische Versorgung versetzen sie in eine bedrohliche Lage.

Es ist deshalb richtig und wichtig, dass wir als Rat der Stadt Gelsenkirchen, wie im Antragstext vorgelegt, bekräftigen, dass wir helfen, solange es notwendig ist. Und das nicht obwohl, sondern gerade weil wir nicht wissen, wie lange es notwendig sein wird.

Dass wir unsere Absicht erneuern, nicht nur konkrete Hilfeleistungen in unserer Stadt und für die Ukraine fortzusetzen, sondern auch die Verbindung nicht abreißen zu lassen, die zwischen Gelsenkirchen und Krementschuk in den letzten Monaten gewachsen ist.

Gelsenkirchen steht auch weiterhin zu seiner humanitären Verpflichtung und eng an der Seite der Menschen in der Ukraine und der Geflüchteten.

Als grüne Ratsfraktion stimmen wir dem Antrag daher zu.

Zuletzt aber noch ein Appell:

Einige Kräfte in unserer Stadt spielen die Not der einen gegen die Not der anderen aus, unterscheiden bei Fluchtlagen nicht nach Ursache, sondern nach Herkunftsland.

Menschenrechte sind nicht teilbar und unsere Solidarität sollte allen von humanitären Katastrophen betroffenen und Schutz suchenden Menschen gelten, die in Gelsenkirchen ankommen.

Vielen Dank!